ABLAUF DER AMBULANTEN LESUNG
Schauplatz 1 | Berit Klinik, Speicher
Lukas, der Vorleser, hat von einem Freund, der mit gebrochenen Knochen in der Klinik liegt, einen Brief abgeholt. Der Brief stammt von Ramon, dem Bruder des besagten Freundes, und ist an eine gewisse Elisa adressiert, die offenbar im Hotel Höhenblick wohnt. Lukas hat versprochen, den Brief zu überbringen. Zuvor liest er ihn aber noch dem Publikum vor.
Lukas lädt das Publikum ein, sich mit ihm zum Hotel Höhenblick zu begeben.
Schauplatz 2 | Parkplatz/Aussichtspunkt Vögelinsegg, Speicher
Bei einem Parkplatz auf dem Weg zum Hotel hält Lukas inne und bleibt stehen. Er erklärt dem Publikum, dass er einen Artikel in der Zeitung gelesen habe, der von einem Zwischenfall berichtet, der sich genau auf diesem Parkplatz ereignet hat. Die Zeitung habe er dabei. Lukas liest den Zeitungsartikel vor.
Nachdem er den Artikel vorgelesen hat, gehen Lukas und das Publikum weiter zum Hotel Höhenblick.
Schauplatz 3 | Hotel Höhenblick, Speicher
Beim Hotel Höhenblick sitzt eine Frau an einem Tisch auf der hinteren Terrasse. Lukas setzt sich zu ihr hin. Nach einem seltsamen Moment des Schweigens hält die Frau, bei der er sich offensichtlich um Elisa handelt, ihm wortlos ihr Tagebuch hin. Nach kurzem Zögern liest Lukas den aktuellsten Eintrag vor.
Am Schluss übergibt Lukas den Brief.
Für dich sterben leben
>> Der Brief
Sonntag, 3. September 2017, vielleicht auch schon Montag, 4. September 2017
Liebe Elisa
Das Warum ist unvermeidbar. Es ist einleuchtend, dieses Warum. Ich kann es geradezu hören, dieses Warum. Es ist ein lautes Wort, sogar dann, wenn man es flüstert, oder nein, umso mehr, wenn man es flüstert. Es ist wohl eines jener Wörter, die am durchdringendsten klingen, wenn man sie flüstert. Warum? Warum? Warum? Wenn man es schreit, dieses Warum, dann ist es dramatisch, theatralisch, nahezu pathetisch. Wenn man es ganz leise spricht, gewinnt es an Bedeutung, an Tiefe. Ich hoffe, dein Warum ist geflüstert. Ich hoffe es sehr.
Die Antwort auf das Warum, sie ist eigentlich ganz einfach. Die Antwort bist du. Was ich getan habe, habe ich deinetwegen getan. Dir zuliebe. So vieles habe ich dir zuliebe getan. Erst mit einer gewissen Distanz zu den Dingen wurde mir bewusst, dass dem Wort zuliebe häufig gar keine Liebe innewohnt.
Weisst du noch, an jenem Abend, an welchem wir heftig gestritten haben und ich dann mit einer Whiskyflasche aus der Wohnung geflüchtet und durch den strömenden Regen gegangen bin? Ich bin damals bis in den Steineggwald getorkelt, habe fast die ganze Flasche leergetrunken, bin dann zurückgekommen, stand vollkommen durchnässt und betrunken unter dem Türrahmen und habe dir entgegengebrüllt, dass ich für dich sterben würde. Und du hast ganz leise gesagt, dass du nicht willst, dass ich für dich sterbe, sondern dass ich für dich lebe. Ich habe es damals wohl nicht verstanden. Jetzt verstehe ich es. Ich glaube zumindest, dass ich es verstehe. Besser zu spät als nie, sagt man. Doch ich befürchte, dass es in diesem Fall keinen Unterschied macht.
Als du gesagt hast, dass du es nicht mehr aushalten kannst, hab ich gesagt: Dann geh doch! Als du dann gehen wolltest, habe ich gemerkt, dass ich es ohne dich nicht aushalten kann.
Nein, ich will nicht, dass du gehst. Das wollte ich nie.
Was ich getan habe, war kein panischer Reflex, keine Affekthandlung. Ich war weder betrunken noch verwirrt. Ich wollte – physisch, wahrhaftig – verhindern, dass du wegfährst, wollte mich in den Weg stellen. Und ich wollte ein Zeichen setzen. Wollte dir zeigen, dass ich dort bin, wo du hinwillst, dass es für dich, aber auch für mich nur ein Weiterkommen geben kann, wenn wir es gemeinsam tun. Ich wollte beweisen, dass unser Wir das beste Wir ist, das es für dich und für mich geben kann.
Und ja, ich gebe zu, es war grotesk, es war melodramatisch, es war nahezu lächerlich, und die Sache mit der Kette war vielleicht sogar übertrieben. Vielleicht muss man manchmal über das Ziel hinausschiessen, um es zu erreichen, ich weiss es nicht.
Ich denke häufig an die Woche in der Provence. Wir waren Entdecker, waren Eroberer. Wir brauchten keine Santa Maria, wir hissten keine Flaggen auf einem Trabanten, wir gingen nicht über Leichen. Wir hatten uns, hatten unsere Leiber, unsere Münder, unsere Augen. Wir eroberten unsere eigene Welt, entdeckten uns selbst, während rundherum alles in bezauberndem Schweigen lag. Da war dieses Flirren in der Luft, jedes Bild brannte sich in die Netzhaut ein. Diese Lebendigkeit kannte ich nur aus meiner Kindheit. Damals eroberte ich mit meinen Freunden ein kleines Waldstück. Wir machten es zu unserem Reich, stellten unsere eigenen Regeln auf, etablierten unsere eigenen Rituale. Das Waldstück war ein Universum für sich, unser Universum, und wir standen darin im Mittelpunkt, alles drehte sich um uns. Ich fühlte mich bedeutsam, fühlte mich als Teil von etwas Grossem, und ganz ähnlich fühlte ich mich damals in der Provence, mit dir. Wir waren so elementar. So echt, so wahrhaftig. Ich mache mir keine Illusionen: Ein solches Hochgefühl lässt sich nicht unendlich ausdehnen, eine solche Euphorie wie in jener Woche lässt sich nicht unbeschadet ins tägliche Leben retten. Aber sie kann ein Leuchtturm sein, um auch im wüsten Getöse oder in nebligen Tagen nicht die Orientierung zu verlieren. Natürlich ist der Leuchtturm als Sinnbild in Liebesdingen ein einziges Klischee, wie der rettende Anker, wie der Fels in der Brandung. Klischees sind manchmal schrecklich banal und trivial, doch das ist mir egal. Ich kann gut mit diesem klischeehaften Leuchtturm leben. Aber ich kann schlecht ohne dich leben.
Ich glaube, wir haben es versäumt, das Licht im Leuchtturm am Brennen zu erhalten. Vor allem ich habe es versäumt. Viel zu lange.
Irgendjemand hat einmal gesagt: In der Liebe bleiben wir stets Anfänger. Offenbar hielten wir uns nicht daran. Wir liessen uns von der Routine Sand ins Getriebe streuen, wir schauten nicht in die gleiche Richtung, wir verloren jede Neugier. Wir waren keine Anfänger mehr. Wir wurden Aufhörer. Und irgendwie kann ich verstehen, dass du gehen willst. Du hast hingeschaut, du hast gekämpft, und während du versucht hast, uns zu retten, habe ich nicht einmal erkannt, dass es zu einer Rettung Anlass gab. Irgendwann wurdest du trotzig, wurdest wütend. Du wurdest verletzend und offensiv, dein gesamtes Verhalten schien mir wie ein ausgestreckter Mittelfinger in meine Richtung. Doch ich zuckte nur mit den Schultern. Ich zuckte einfach mit meinen dummen Schultern, wie ich es immer getan habe.
Als du deine Sachen gepackt hast, bin ich aufgewacht. Endlich aufgewacht. Doch ich fand keine Argumente, um dich zum Bleiben zu bewegen, ich fand kein Feuer, um das Licht im Leuchtturm wieder zu entzünden. Du hast gesagt, es sei zu spät, es sei vorbei. Im ersten Moment war ich sprachlos, der Gaumen war ganz trocken, ein dicker Klumpen hing im Hals. Ich war gelähmt, fühlte mich ohnmächtig. Doch dann kam ich zur Besinnung. Ich weigere mich, das Vorbeisein zu akzeptieren. Ich weigere mich, dich gehenzulassen. Und weil meine Worte wohl nichts mehr bewirken konnten, schritt ich zur Tat.
Ich kann und will nicht entschuldigen, was ich getan habe. Falls ich dich beschämt habe oder dir die entstandene Aufmerksamkeit unangenehm ist, tut es mir leid. Doch ich musste es in Kauf nehmen. Ich sah keine andere Möglichkeit mehr, dich davon zu überzeugen, dass ich alles für dich tun würde. Nicht sterben für dich, sondern eben leben für dich. Mit allen Schrunden und Wunden. Mit allen Risiken und Entblössungen. Mit dem ganzen Dröhnen und Rauschen. Mit dem ganzen Feuer, das es braucht, um den Leuchtturm am Brennen zu halten.
Ich liebe dich.
Ramon
PS: Ich weiss nicht, ob du überhaupt mitbekommen hast, was geschehen ist. Ich habe dich nicht gesehen, weiss nicht, ob du mich gesehen hast. Die Polizisten haben gesagt, dass ich mindestens eine Nacht in dieser Zelle bleiben muss, vielleicht auch mehr. Ich werde diesen Brief morgen meinem Bruder geben, damit er ihn dir sofort bringt. Vielleicht bist du bereits abgereist, aber ich hoffe, dass du noch da bist, im Hotel.
>> Zeitungsartikel
Dienstag, 5. September 2017
Skurriler Zwischenfall in Speicher
Ein merkwürdiges Ereignis hat im appenzellischen Speicher für Aufsehen gesorgt. Ein Mann hat sich auf einem Parkplatz an ein Auto gekettet und es dadurch blockiert. Besorgte Passanten alarmierten die Polizei, die den Mann verhaftete.
Als die Polizei am vergangenen Sonntagabend zum Parkplatz auf der Vögelinsegg in Speicher gerufen wurde, staunten die Beamten nicht schlecht. Ein Mann hatte sich mit einem Klappstuhl vor eines der parkierten Autos gesetzt. In seiner Hand hielt er eine brennende Fackel. Um seinen Bauch hatte er eine Kette gewickelt, deren anderes Ende am Auto befestigt war.
Passanten verunsichert
«Ich habe ihn gefragt, was er hier mache, doch er hat keine Antwort gegeben», erzählte eine Anwohnerin, die gerade auf dem Nachhauseweg war. «Er sass einfach auf seinem Stuhl und umklammerte die Fackel. Er sah zwar nicht gefährlich aus, eher traurig. Aber die Situation hat mir dennoch Angst gemacht.»
Eine andere Frau war gerade mit ihrem Hund unterwegs. Als sie den Mann auf dem Parkplatz sah, alarmierte sie sofort die Polizei. «Man weiss ja nie, was solche Leute vorhaben», erklärte sie. «Vielleicht ist es irgendein Spinner, vielleicht ein Terrorist, keine Ahnung.»
Als die Beamten eintrafen, näherten sie sich dem Mann mit der gebotenen Vorsicht. Nachdem die Versuche, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen, erfolglos geblieben waren, forderten sie ihn auf, mit ihn mitzukommen. Da sich der Mann weigerte, trennten sie die Kette durch und nahmen ihn in Gewahrsam. Über die Identität des Verhafteten sowie über seine Beweggründe konnten die Beamten keine Auskunft geben. Der Fall werde untersucht, man werde informieren, sobald Einzelheiten bekannt seien.
Zweiter Zwischenfall
Kurz nachdem die Polizei den Parkplatz verlassen hatte und nur noch Presse und Passanten vor Ort waren, kam es zu einem weiteren Zwischenfall. Eine Frau traf am Ort des Geschehens ein und wollte in das Auto einsteigen, das zuvor vom Mann mit der Fackel blockiert worden war. Ein Passant trat zu ihr heran und wollte ihr offenbar erzählen, was vorgefallen war. Doch die Frau schob den Passanten weg, setzte sich in das Auto und fuhr los. Wer die Frau war und ob sie mit dem Verhafteten in Verbindung stand, ist nicht bekannt.
>> Tagebucheintrag
Dienstag, 5. September 2017
Heute habe ich ein Wasserglas an die Wand geworfen. Es war eines dieser dicken Gläser von IKEA. Die sind zwar robust, denke ich. Aber ich habe es sehr heftig geworfen, wirklich heftig. Wut und Traurigkeit wurden zu Kraft, entluden sich. Dennoch ist das Glas nicht zersprungen. Nicht einmal eine kleine Ecke ist abgesplittert. Ich weiss nicht, wie das geschehen konnte, ich weiss es wirklich nicht. Eigentlich bin ich ziemlich gut darin, Dinge kaputtzumachen.
Ich bin nun seit einer Woche in diesem Zimmer im Hotel Höhenblick. Die Leute im Hotel sind sehr rücksichtsvoll, sie lassen mich in Ruhe. Ich mag sie, diese Ruhe, ich brauche sie im Moment, brauche sie noch mehr als sonst. Ich bin so häufig an diesem Hotel vorbeigefahren auf dem Weg nach St.Gallen, und immer wieder dachte ich daran, hier zu übernachten, zwischen See und Hügeln. Einmal waren Ramon und ich sogar im Restaurant des Hotels, haben ein Glas Wein getrunken und unsere Blicke hinab auf den Bodensee schweifen lassen. Wir waren damals allein im Restaurant, nur die Wirtin war noch da, und irgendwie schien es mir, als wären wir zwei Überlebende eines Schiffbruchs. Oder die einzigen Bewohner eines Leuchtturms. Oder die letzten Menschen der Welt.
Es ist merkwürdig, hier zu sein, in diesem Hotel, noch so nah an der alten Wohnung und doch so weit weg davon. Doch kurzfristig sah ich keine bessere Lösung. Langfristig wird sich zweifellos eine finden. Am Sonntag wollte ich bereits abreisen, bin auch schon losgefahren. Doch ich kam nur bis zum Wenigerweiher, dann kehrte ich wieder um, buchte noch einige Nächte im Hotel. Ich zögere die Wegfahrt hinaus.
Von Ramon habe ich noch nichts gehört. Ich habe nicht erwartet, dass er anruft, schliesslich telefoniert er nicht gerne. In den Jahren, die wir uns kennen, habe ich vielleicht zwei oder drei Mal am Telefon mit ihm gesprochen. Seine Stimme klang jeweils ganz dünn im Hörer, nur noch ein Schatten ihrer selbst. Seine Stimme, sie war womöglich das erste, in das ich mich verliebt habe, damals. Ramon kann die Wörter im Mund formen, damit jedes perfekt wirkt, wenn es erklingt. Ich kenne niemanden, dessen Stimme so viel Persönlichkeit hat.
Ja, ich vermisse ihn. Und obwohl ich ihn schon lange und immer wieder vermisst habe, ist es jetzt anders. In den vergangenen Monaten oder gar Jahren, in denen er sich scheinbar immer weiter von mir entfernte, war er doch immer da. Ich wusste stets, dass er mich auffangen würde, wenn ich umfalle. Jetzt stürze ich einfach zu Boden und stosse mir den Kopf.
Manchmal frage ich mich, ob Liebe von Natur aus ein Verfallsdatum hat. Vielleicht gibt es kein Entrinnen, vielleicht stellt sich in jeder Beziehung der gleiche Verlauf ein: Man verliebt sich, wild und leidenschaftlich, dann liebt man sich, wahrhaftig und innig, und dann gewöhnt man sich aneinander, lebt miteinander, nebeneinander, ernährt sich von den überschüssigen Gefühlen aus vergangenen Zeiten.
Zu Beginn hat mich Ramons Ruhe beeindruckt. Vielleicht hat sie mich sogar gerettet. Sein Schweigen hat meinen Lärm gedämpft, hat das ewige Plärren und Rauschen der Welt überlagert. Seine Besonnenheit hatte etwas Stoisches, er strahlte die Sicherheit aus, nach der ich mich wohl unbewusst gesehnt hatte. Mit der Zeit jedoch wandelte sich seine stärkende Ruhe zur bleiernen Schwere, zur Apathie, zumindest in meinen Augen. Mir schien, Ramon wollte stets am sicheren Ufer bleiben, während ich mich in die Wellen stürzen und hinab zu den Korallen tauchen wollte.
Als ich ihm davon erzählt habe, dass Philipp und ich uns geküsst hatten, wurde er nicht wütend. Er blieb ruhig, sagte kaum ein Wort. Und das machte mich wütend. Wie konnte er ruhig bleiben? Wie konnte er so gleichgültig darauf reagieren, dass die Frau, von der er sagte, dass er sie liebte, ihm soeben gestanden hatte, dass sie von einem anderen Mann geküsst worden war? Es ist diese Lethargie, die mich erschöpft hat. Ich wollte ihn schütteln. Ich wollte ihn wachrütteln. Aber es gelang mir nicht. Ich glaube, wenn er nur einziges Mal aufgestanden wäre, wenn er in einer Menschenmenge stehengeblieben wäre und für alle hörbar verkündet hätte, dass er mich liebte, dann hätte ich ihm auf der Stelle ewige Liebe und Treue geschworen.
Einmal hatten wir uns gestritten, warum auch immer, und er stürmte mit einer Whiskyflasche aus dem Haus. Als er zurückkam, betrunken und vom Regen durchnässt, sagte er mir, dass er für mich sterben würde. Ich sagte ihm, dass er nicht für mich sterben, sondern für mich leben soll. Später dachte ich darüber nach und bereute meine Worte, schliesslich hatte er genau das getan, was ich mir ersehnt hatte; er hatte mir mit voller Wucht verdeutlicht, welchen Wert ich für ihn hatte. Doch ich sagte nichts, schluckte mein Bedauern hinunter.
Wahrscheinlich sehnte ich mich nach dem Ramon in der Provence, sehnte mich nach uns, wie wir damals waren. In jener Woche schien sich alles, wirklich alles, das ich mir je vom Zusammenleben mit einem anderen Menschen erhofft hatte, zur fassbaren Realität zu formen. Diese Woche, sie gab ein Versprechen ab, doch die folgende Zeit konnte dieses Versprechen allzu häufig nicht halten. Und vielleicht gab ich Ramon die alleinige Schuld daran. Vielleicht nahm ich es ihm übel, dass er das Ausleiern und Ermatten zuliess.
Ich warf ihm einige Male vor, dass er das Feuer habe ausgehen lassen, unser Feuer, das uns doch Licht und Wärme schenkte. Immer wieder sprach ich von diesem Feuer, drängte ihn, es aufs Neue zu entfachen, es immer wieder zu schüren. Dass ich selbst wohl ebenso wenig dazu beitrug wie er, wurde mir erst spät bewusst. Vielleicht erst jetzt, ich weiss es nicht.
Nun, was ändert es? Ich bin gegangen, endgültig. Und diese Endgültigkeit, sie tat gut, im ersten Moment. Ich fühlte mich befreit von Stricken und Schnüren, die mich beständig gelenkt und zurückgebunden hatten. All die Phrasen, die man nach dem Ende einer Beziehung zur Rechtfertigung in alle Richtungen drischt, diese Phrasen habe ich bemüht, habe sie innert weniger Stunden ausgereizt, um mir einzureden, wie frei und leicht und gut ich mich fühlte.
Dann begannen mir die Worte zu fehlen. Meine Stimme verstummte, nur noch der Nachhall der Phrasen war zu hören. Irgendwann schlief auch dieser ein. Und liess eine schreckliche Stille zurück. Noch nie war die Welt so still. Ich schrie gegen diese Stille an, ich brüllte, doch kein Ton drang aus meinem Innern. Die Stille blieb. Und sie wurde so ohrenbetäubend, dass ich es nicht mehr aushalten konnte. Darum habe ich das Wasserglas an die Wand geworfen. Es hat nichts genützt.
Draussen lauert der Herbst, es wird dunkler, es wird kühler. Ich knete meine Gedanken und deichsle sie beständig um die Frage, was ich eigentlich will. Die Antwort, sie ist eigentlich ganz einfach.
Aber das macht es nicht leichter.
Ein Gedanke zu “Ambulante Lesung 02: Die Geschichte”